Montag, 26. November 2012

Meine erste Schallplatte:Tobias Koth über Pink Floyd - Animals


Ich war zwölf Jahre alt und fragte damals in der Schule diesen Typen, der mir am schlausten von allen vorkam, die klassischste aller Fragen: „...und was für Musik hörst Du?“ Der schlaue Typ antwortete 'progressiven Rock'. Ich wusste damals zwar nicht, was 'progressiv' beutete aber es musste etwas ziemlich Schlaues und Wichtiges sein, denn der Typ war ja auch schlau: immerhin rauchte er bereits, las Bukowski und hatte sich mit einem Kuli das Friedenszeichen auf den linken Ärmel seines Bundeswehr-Parkers gemalt. Und aus seinem schlauen Mund hatte das Wort 'progressiv' den Klang von Auflehnung und Verbotenheit. Nach einiger Zeit wurde mir dann klar, dass 'progressiv' zuallererst die Unmöglichkeit bedeutete, etwas darüber in der Bravo lesen zu können. Und 'progressiv' lief auch nicht im Radio. Es schien unsichtbar und nur für Eingeweihte zu existieren. Wer davon Kenntnis hatte, teilte sie nicht mit jedem. Durch das seltsame Wort 'progressiv' wurden mir dann auch Bravo und Radio sofort verdächtig. Möglicherweise waren sie nicht wirklich schlau. So stieg meine Neugier und ich kaufte mir auf Empfehlung des schlauen Typen beim örtlichen ELPI meine erste schlaue Platte: 'Animals’ von Pink Floyd. Ein Grund, warum Pink Floyds 'Animals' meine erste richtig wichtige Platte war, lag also darin: sie zu kennen machte schlau und befreite einen aus der medialen Gefangenschaft von albernen Jugendmagazinen und ignoranten Massenmedien. Gleichzeitig war die Platte in sich selbst ein absolutes Geheimnis, ein Geheimnis der Schlauheit – zumindest für einen Zwölfjährigen in einer westfälischen Kleinstadt, in der andere Zwölfjährige Bay City Rollers oder Shaun Cassidy hörten und sich
Tobias (12) aus Hagen ängsigt sich vor Pink Floyds "Animals"-Album
Pril-Blumen auf ihre Schuletuis klebten. Die Musik auf dieser aufregenden Platte schien mir vom ersten Hören an völlig unzugänglich, seltsam und neuartig. Sie war mir nicht nur völlig fremd und blieb es selbst nach mehrmaligem Hören. Die Musik machte mir auch auf unerklärliche Weise Angst – auch wenn der erste Song 'Pigs On The Wing 1' noch freundlich-folkig daherkommt. Die Musik machte mir Angst, weil sie nach Ausweglosigkeit, Dunkelheit und Tod klang und mir diese Gefühle nicht unbedingt vertraut waren. Die Platte formulierte einen psycho-akustischen Angriff auf meine begrenzte kindliche Dämmer-Welt mit ihrem mickrigen musikalischen Spektrum. Was soll auch ein siebzehnminütiger Song ohne Refrain? Was wollten Gesangsstimmen ausdrücken, die im endlosen Echo zu einem fremdartigen Synthesizer-Akkord im Nichts verhallen während von fern ein synthetischer Hund bellt? Was bedeutete eine männliche Gesangsstimme, die plötzlich nahtlos in einen berückenden Synthesizer-Akkord überging, der seinerseits in einem rastlos-panischen Rhythmus entschwebt? Wer singt hier überhaupt: Hunde, Menschen, Maschinen? Die Texte waren mit meinen wenigen Englisch-Brocken nicht zu entschlüsseln. Hinzu kam: auf den unheimlichen Cover-Fotos gab es überhaupt keine Menschen zu sehen – nur eine riesige Fabrik (dass es sich um das Londoner Battersea-Kraftwerk, wusste ich natürlich nicht), überdimensionale fliegende Plastikschweine und Ruinen-Porno, wie er heute noch bei Detroit-Techno-Anhängern in Mode ist. Wer war aber die Band? Waren es lebendige Menschen oder vielleicht Außerirdische? Und was bedeuteten die Texte? Ich blieb ahnungslos aber diese Ahnungslosigkeit hielt nicht nur die ganze Angelegenheit bis heute interessant! Sprachloses Erstaunen und Ahnungslosigkeit sind für mich nach wie Wirkungen von Musik, die es erlauben sich aus unerquicklichen alltäglichen Dämmerzuständen zu lösen und ein wenig schlauer zu werden – auch wenn ich Bukowski und Armee-Parker nicht mehr ganz so schlau finde.


Tobias Koth, geboren 1967 in Hagen/W., pilgert seit 1989 mit seinem Disco-Rucksack durch die Tanzsäle und Bierschänken des Landes. Feste Unterkünfte standen für ein paar Jahre in Bochum (Planet) und in Essen (Rote Liebe). Zur Zeit erholen sich seine müden Glieder in der Bochumer Goldkante. Hier lässt er Liedgut aus Afrika, Brasilien und Nordamerika in den gestirnten Abendhimmel verströmen. Wenn es die Kräfte zulassen, gibt es kleine Zwischenspiele bei den legendären Bochumer Funkloch-Partys.

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